Wenn Eltern von Kindern lernen

In Integration, Minden

Wie und wo lernt man Menschen am besten kennen? Die Antwort ist einfach: in der Familie. Nirgendwo sonst wird der Alltag so selbstverständlich gelebt und die Kinder lernen so mühelos von ihrer Umgebung. Auf die Stärken der Familie setzt ein Projekt des Caritasverbandes Minden. Es heißt „Tapetenwechsel“.

Die Idee ist einfach. Kinder zwischen acht und zwölf Jahren verbringen einige Zeit in einer Gastfamilie. „Sie wechseln die Tapeten“. Während dieser Zeit leben sie an der Seite ihres „Gastbruders“ oder ihrer „Gastschwester“, werden behandelt wie diese, sehen mit deren Augen, lernen was die „Gastgeschwister“ wissen und schließen neue Freundschaften.
„Tapetenwechsel“ baut auf Mitgefühl und das Interesse am anderen – und verzichtet auf den erhobenen Zeigefinger oder Belehrungen. Alle sind gleichberechtigt und begegnen sich auf Augenhöhe, auch wenn es Unterschiede im sozialen Leben oder bei der Bildung gibt.
Das Projekt ist im März 2015 gestartet und inzwischen haben 29 Kinder aus Mindener Grundschulen daran teilgenommen.
Seit Februar 2017 läuft der vierte Durchgang des Projektes an der Kurt-Tucholsky-Gesamtschule. 18 Kinder besuchen donnerstags nachmittags Workshops zu Themen wie Kinderrechte oder Weltreligionen, spielen Theater und lernen sich spielerisch kennen. So gelingt es schwierige Themen wie Flucht, Migration und Diskriminierung, aber auch interkulturelle Verständigung und Konfliktlösung auf eine altersgerechte Weise zu vermitteln. Zu den Highlights gehört ein von Studenten des Medienlabors der Uni Bielefeld durchgeführter Workshop zum Thema Film und Umgang mit Medien. Die Kinder dürfen dabei mit professioneller Ausrüstung wie Kameras, Licht und Ton arbeiten, ein Video drehen und die Szenen am Computer zusammenschneiden.
Vor allem geht es beim „Tapetenwechsel“ um das gegenseitige Kennenlernen der Familien, deren Kinder später „getauscht“ werden sollen. Auch dabei setzen die Initiatoren vom Caritasverband auf Aktivität: ein Ausflug mit dem Drachenboot auf der Weser, ein Theaterworkshop oder gemeinsames Kochen. Die „Drachenbootfahrt“ findet immer besonderen Anklang. Eine Teilnehmerin meinte: „Weil Alle in einem Boot sitzen und miteinander einen Weg gehen. Das ist so eine schöne Symbolik“. Das „gemeinsam in Aktion sein“ hilft den Menschen unterschiedlicher Nationalitäten sich dem Fremden gegenüber zu öffnen und einander näher zu kommen. Die Familien aus verschiedenen Kulturkreisen schließen sich schnell zu „Familientandems“ zusammen. Innerhalb dieser Familien-Paare findet der eigentliche Schüleraustausch statt. Dieser beginnt mit einem gemeinsamen Sonntagsessen bei der Gastfamilie.




Die Austauschwoche wird nach den Zeitkapazitäten der Familie und dem Wunsch der Kinder gestaltet. Grundsätzlich verbringen die Schüler mehrere Tage in ihrer Gastfamilie. Die Rückmeldungen der Beteiligten waren bis jetzt ausnahmslos positiv und alle bisherigen Teilnehmer und Kooperationspartner waren sich einig: Der „Tapetenwechsel“ war eine Bereicherung. Selbst für die begleitenden Fachleute war es eindrucksvoll, wie sich zwischen den verschiedenen Familien freundschaftliche Kontakte entwickelten und die Erwachsenen einander näherkamen.
Viele Familien hatten schon vorher den Wunsch, Familien aus anderen Kulturkreisen privat kennenzulernen, ihnen fehlte jedoch der Mut oder schlicht die Gelegenheit dazu. Mit dem Abstand von zwei Jahren lässt sich beobachten, dass sowohl Kinder als auch Erwachsene dank ihres Einblicks in eine bis dahin weitgehend unbekannte Welt voreingenommene und vorurteilsbeladene Einstellungen überdacht haben.
Der Caritasverband Minden hat einen Weg gefunden, Menschen aus verschiedenen Kulturen tatsächlich einander näherzubringen. Die Kinder sind Boten zwischen den Welten geworden – und die Eltern können von ihnen lernen, wie das geht: Freundschaft jenseits aller kultureller Grenzen.

Text : Hellenbrand Beata
Bild : Hellenbrand Beata
 

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