Islamunterricht zwischen Ankunft und Herkunft

In Bildung

Gegenwärtig gibt es wichtige Entwicklungen zum islamischen Religionsunterricht. Diese will ich im Folgenden bewerten.

Musa Bağraç
Musa Bağraç

Deutschland ist für den Islamunterricht…
Deutschland ist gegen den Islamunterricht…

Was nun, dafür oder dagegen?

Die Meinungsbildung in Demokratien ist ein komplexer Prozess und sollte daher nicht vereindeutigt werden.

Was den islamischen Religionsunterricht angeht, ist bisher vor allem in NRW vieles geschafft. Für den Islamunterricht gibt es Lehrpläne von der ersten Klasse bis zum Abitur, auch für Berufsschulen, dazu viele IRU Unterrichtsmaterialien, 241 tätige Islamlehrer/innen. Die ersten 20 Lehramtsreferendare werden derzeit ausgebildet. Die Akzeptanz des Faches in der Bildungslandschaft wächst immer mehr. Viele Landesregierungen bauen den IRU be/ständig aus.

Auf der anderen Seite wird durch den politischen Rechtsruck das Lager der Islamunterrichtsgegner immer größer. Allein nach der aktuellen Studie der Evangelischen Kirche seien derzeit 53,8% der Deutschen gegen den islamischen Religionsunterricht in Schulen, während gerade noch 26,7% der Befragten einen IRU befürworten.

Woran liegt das?

In erster Linie sollte man schauen, warum Menschen dagegen oder dafür sind. Dies liegt oft daran, was der Islamunterricht für sie symbolisiert.

Für Befürworter steht der Islamunterricht, für religiöse Bildung, Gleichbehandlung, Verständigung, Interkulturalität, Beheimatung, Integration, Prävention usw. da. Also für die Lösung für all unserer gesellschaftlichen Probleme.

Für die Gegner hingegen symbolisiert der Islamunterricht in erster Linie Islamismus, Radikalisierung, Fremdartigkeit, Rückständigkeit, Erdogan, Einfluss aus dem Ausland usw. Also die Quelle für all unserer hiesigen Probleme.

Dass diese Bilder so nicht immer zutreffen, ändert nichts an ihrer sozialen Wirkung. Will man sich nun zurücklehnen und die ‚Anderen‘ für die Ablehnung verantwortlich machen? Damit ließe sich zumindest die Eigenverantwortung der Muslime bequem unter den Teppich kehren.

Indessen beobachte ich nun seit rund 20 Jahren, dass viele Errungenschaften um den Islamunterricht oft nicht mit, sondern trotz muslimischer Funktionäre erfolgt sind, und zwar Dank besonnener Stimmen auf beiden Seiten, um die Beheimatung der Muslime in Deutschland voranzubringen.

Wie sieht es nun mit der Verantwortung der muslimischen Verbände aus?

In den letzten Jahren wird die passive Haltung vieler Moscheeverbände zudem noch durch die stärker werdende Herkunftslandorientierung beeinträchtigt, die sich im Konkreten folgendermaßen ausdrückt:

a) Der Dialog mit Nichtmuslimen bleibt auf der Strecke

b) Der geistige Lebensmittelpunkt wird von Deutschland ins Herkunftsland verschoben

c) Wie-was geglaubt werden soll, wird ausländischen Imamen überlassen, die von hiesigen Umstände keine Ahnung haben

d) indes verlieren sich muslimische Funktionäre in Gemeindeökonomie und Glaubensverwaltung

e) Anweisungen einer anonymen Obrigkeit versucht alle Lebensbereiche der Muslime zu gestalten

f) Für ausländische Imame und Bürokraten dient der Aufenthalt in Deutschland als Sprungbrett für ihre Karrieren

g) Predigten erfolgen in der Herkunftssprache, ohne die Bedürfnisse hiesiger Muslime zu berücksichtigen

h) Junge Muslime werden mit abenteuerlichen Sommercamps für Politik des Herkunftslandes eingespannt

i) Der Rechtsruck hierzulande wird verallgemeinert und auf alle Deutsche übertragen

j) Für das eigene Versagen wird das politische System in Deutschland verantwortlich gemacht.

Auf den Islamunterricht bezogen heißt die Herkunftslandorientierung, dass die ohnehin stiefkindliche Behandlung des IRU weitere Marginalisierung erfährt. Denn von den Millionen, die man für Bauten im In- und Ausland mobilisierte, war man nicht einmal bereit 0,1% in die Fort- und Weiterbildung von Islamlehrern zu investieren. Gleichzeitig fühlte man sich stets berufen als exklusiver Ansprechpartner für den deutschen Staat zu gelten, sobald irgendwo ‚Islam‘ drauf stand.




Letztlich entscheidet die Basis

Von den muslimischen Funktionären, die mental wo anders sind, kann man eine hier beheimatete Entscheidung nicht erwarten. Jene Muslime, die in Moscheegemeinden organisiert sind, stehen heute an der Weggabelung, die von ihnen eine Entscheidung abverlangt.

Vor allem muslimische Eltern ab der zweiten Generation, die selbst Schulkinder im Haushalt haben und mit beiden Füßen im Leben stehen, können andere Muslime hierzulande zu einer Deutschlandorientierung bewegen. Da sie genau wissen, es geht um sie und um die Zukunft ihrer Kinder.

Was sie für eine Deutschlandorientierung konkret tun können?

1) In erster Linie bewusst werden, dass Muslime in einer Moscheegemeinde keine Verfügungsmasse sind, sondern Subjekte, die für sich selbst sprechen können

2) In der Moscheegemeinde konsequent für einen Dialog mit Nichtmuslimen eintreten, damit gegenseitige Vorurteile abgebaut werden

3) Immer wieder darauf hinweisen, dass ihr Lebensmittelpunkt in Deutschland ist und sie hiesige Umstände besser einschätzen können als aus dem Ausland gesandte Imame oder Bürokraten

4) Wissen, dass das religiöse Leben für sie in der Moscheegemeinde stattfindet und nicht im Verwaltungstrakt eines Dachverbandes, dem die Gerichte ohnehin keine religiöse Autorität zusprechen

5) Bildung, Beruf, Sozialisation, Zusammenleben, demokratisches Bewusstsein, zivilgesellschaftliches Engagement usw. gehören zum hier beheimateten muslimischen Gemeindeleben

Deutschland gehört meines Erachtens zu den weltoffensten Ländern der Welt. Was nicht bedeutet, dass wir hier in einer problemfreien Zone leben. Nein, es gibt noch viel zu tun, vor allem gegenüber dem gefährlichen Rechtsruck, der sich in der AfD kristallisert. Eine Beheimatung der Muslime hierzulande bedeutet in diesem Kontext auch, die Gesellschaft für uns alle lebenswürdiger und vielfältiger zu gestalten. Demokratische Gesellschaften leben von der aktiven Partizipation ihrer Bürger. Muslime, die Teil dieser Gesellschaft sind, sollten daher weniger jammern und weniger den Kopf in den Sand stecken, dafür mehr teilhaben und mehr mitgestalten.

Wenn aus dieser Beheimatung der Muslime in Deutschland dann möglicherweise ein deutscher Islam hervorgeht, wen außer Rechte und Identitäre kann das stören?

Bild:Puxabay/Creative Commons CC0.

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