Egal, wie ich es halte, ich kann es niemandem recht machen!
Autorin: Dudu Sönmezçiçek, Redaktion „Elternbriefe“, ANE
Sprache stiftet Identität, zieht Grenzen. In einer globalisierten Welt, in Gesellschaften, die von Migration und Mobilität geprägt sind, müssen Grenzen nicht beseitigt, aber doch überwunden werden. Deshalb ist jeder angewiesen auf die Fähigkeit, sich in mindestens zwei Sprachen zu äußern.
Die Europäische Kommission hat beschlossen, dass EU-Bürger neben der Muttersprache mindestens eine weitere, noch besser zwei weitere europäische Sprachen sprechen. So steht das Sprachenlernen im Artikel 149 des EU-Vertrags ganz oben auf der Liste der EU- Ziele.
Ich habe live und mittendrin miterleben dürfen, dass aktuelle Themen und Diskussionen an den Eltern nicht vorbeigehen, sondern gerade sie am heftigsten erfassen: Lange schon haben Eltern erkannt, wie wichtig Sprache ist und wie bedeutsam Mehrsprachigkeit. Ich erinnere mich, als mein Kind in die Kita kam, lief eine rege Diskussion unter den Kita-Eltern, dass „Frühe Mehrsprachigkeit!“ sehr wichtig ist, und dass unsere Kinder die Möglichkeit haben sollten „das Zeitfenster, in der die Kinder am besten lernen“, zu nutzen. Plötzlich engagierten sich Eltern dafür, dass die Kinder ab 3 Jahren in der Gruppe Englischunterricht bekommen. So schnell und unkompliziert, wie der „Englisch-Kurs“ in der Kita meines Kindes etabliert wurde, wurde nie wieder etwas in die Praxis umgesetzt. Nun ist mein Kind 11 Jahre, alt, es gibt mittlerweile nicht nur Frühenglisch in der Kita sondern etliche zwei- oder dreisprachige Kindergärten, deren Zahl sich von Tag zu Tag potenziert. Und zwar wegen der Nachfrage durch die Eltern!
Indes plagte mich seinerzeit aber noch ein anderes Thema, nämlich die zweisprachige Lebensrealität meines Kindes. Denn als ich Mutter wurde und vor der Entscheidung stand, „welche meiner Sprachen spreche ich mit meinem Kind?“, war die Entscheidung nicht einfach: Einerseits sollte unser Kind sich mit seinen Großeltern und dem Rest der Familie in der Türkei auch unterhalten können. Andererseits sollte es die beste Ausgangsposition für seine Zukunft haben.
Am Ende habe ich mich für mein Herz entschieden und sprach mit meinem Kind türkisch, sang ihm türkische Lieder vor, erzählte ihm Geschichten, liebte und koste ich ihn auf Türkisch.
Für fast alle meine mehrsprachigen Freunde war es selbstverständlich, dass ich mit ihm türkisch sprach. Meine übrigen Freunde und Bekannte reagierten gespalten und fragten mich, warum ich mit meinem Kind nicht deutsch spräche, mein Deutsch sei doch perfekt.
Wir bewegten uns ständig zwischen den Polen der „Sprachdogmatiker“: Die einen, die den Standpunkt vertraten „zuerst die Muttersprache und dann Deutsch“, die anderen, die fanden, dass wir die Zukunft unseres Kindes vermasselten, weil wir mit ihm Türkisch sprachen…Außerdem würde unser Kind am Ende „doppelt halbsprachig“ sein. Interessanterweise stimmten ihre Standpunkte in einem Missverständnis überein. Nämlich, dass es entweder nur eine „perfekte Zweisprachigkeit“ gäbe oder eine „doppelte Halbsprachigkeit“. Millionen von mehrsprachigen Menschen überall auf der Welt aber strafen diese Position(en) Lügen.
Später, als mein Kind bald in die Kita kommen sollte, begann ich mit ihm beide Sprachen zu sprechen. Schließlich sollte es auf die neue Sprache in der Kita vorbereitet sein und sich leichter eingewöhnen. Also übersetzte ich alles, was ich in der einen Sprache zu ihm sagte in die andere Sprache und umgekehrt. Selbstverständlich hielt ich das nicht lange durch, irgendwann redete ich mit ihm nur noch deutsch. Ich muss gestehen, es fiel mir sehr viel leichter, weil ich im Deutschen über ein breiteres Sprachrepertoire verfüge.
Die erneuten Missbilligungen seitens meiner unmittelbaren und weiteren Umgebung blieben nicht aus. Die Anhänger der Zweisprachigkeit fanden es schade, dass wir unserem Kind eine Chance vorenthalten würden. Und im Urlaub, in der Türkei, wurden wir mit einer ganz anderen Vorwurfsebene konfrontiert, zu denen wir vehement Stellung beziehen mussten: Wir seien entfremdet und unser Kind sei ja überhaupt kein Türke etc. „Ja, so ist es! Unser Kind ist ein Berliner Kind mit türkischen Wurzeln!“, lautete einer unserer Standartantworten.
Heute, im Rückblick, kann ich nur feststellen: Wir haben jeweils die richtige Entscheidung für uns alle getroffen, entsprechend der Situation, in der wir waren.
Unser Kind hat eine recht eloquente Sprache im Deutschen und ein ausbaufähiges Sprachrepertoire im Türkischen, da der Grundstein gelegt ist und er regelmäßigen Kontakt zu Türkisch sprechenden Menschen hat.
Ich denke heute mehr denn je, dass, egal wie sich Eltern entscheiden, diese Entscheidung ihre Legitimität hat. Wichtig ist, dass das Kind in seiner Sprache gefördert wird, unabhängig davon ob es einsprachig deutsch oder mehrsprachig aufwächst. Sprache lernt man durch Sprechen. Und das beginnt zu Hause.